27: Indien 3

15.02.2019

 

Mit unserem selbsternannten „Camp Chaos“ ziehen wir von Agonda weiter bzw. für uns wieder zurück zum Strand von Talpona. Hier können wir direkt am Strand unter großen schattenspendenden Bäumen mit unseren Fahrzeugen stehen, müssen nichts bezahlen und den stinkenden Plastikmüll der allabendlich an unserem Stellplatz in Agonda verbrannt wurde nicht mehr einatmen. Wir atmen also im wahrsten Sinne des Wortes richtig durch. Gesunde Meerluft und ein perfekter Platz zum Relaxen. Hier gibt es kaum Touristen, nur drei kleine Restaurants und die Einheimischen im Dorf wissen auch schnell wer wir sind. „Ah you are here with the camper“ - jawohl das sind wir.

 

Wir fühlen uns sauwohl in unserer Overlandergemeinschaft. Am Abend wird gegrillt, „Schnellfragerunde“ gespielt und mit einem Gin Tonic in der Hand der untergehenden Sonne zugeschaut. Entschleunigung pur. Einfach herrlich.

 

Nach ein paar Tagen fahren Chris & Thorsten sowie Chrissi & Ronald weiter. Wir werden sie auf der Fahrt Richtung Norden bestimmt wieder sehen. Also nur ein kleiner Abschied.

Ein Tag später holen wir im 20 Kilometer entfernten Cancona früh am Morgen unseren Freund Ashok am Busbahnhof ab. Bei seiner Familie waren wir vor wenigen Wochen zu Gast und sind happy ihn nochmal ganz entspannt ohne Eltern zu treffen. Wir bauen unser Gästezimmer – in Form eines Zeltes – neben unserem Bus auf.

 

Die Tage vergehen wieder im Nu, mit gemeinsamen Kochen, Schwimmen und Nichtstun. Nach fünf Tagen fahren wir mit Ashok sowie Hartmut & Gerti (in ihrem Steyr) noch einmal weiter zu den Klippen von Cabo de Rama. Ein echt toller Platz an dem wir eine wunderbare Sicht auf das Meer haben. Ein kleiner Fußweg führt zu einem, vor allem von Einheimischen besuchten Strand. Tagsüber kommen Familien zum Picknicken, junge Männer zum Bier trinken und Hochzeitspärchen zum Fotoshooting. Nach dem Sonnenuntergang verschwinden dann alle & wir sind wieder ganz allein.

 

An einem Abend Grillen wir auf südindische Art – marinierter Fisch, der zuvor in ein Bananenblatt gewickelt wird. Wir fragen zunächst bei einem Anwohner nach, ob wir uns nicht zwei Blätter an seiner Bananenstaude abschneiden dürfen. Der nette Mann nimmt uns sogleich unser mitgebrachtes Messer aus der Hand, macht sich ans Werk und überreicht uns die Blätter. Mit den beiden Blättern geht es dann zu einer Waschstelle, wo wir sie vom Staub & Schmutz befreien. Da die Blätter noch hart & brüchig sind, müssen sie, bevor der Fisch darin eingewickelt werden kann, über die offene Flamme gehalten werden, damit die Fasern brechen und das Blatt weich wird. Ebenso die abgetrennten Stränge, die als Schnur für das Päckchen dienen. Während Ursel & Ashok die Fische zubereiten steht plötzlich Janus übersät mit hunderter Bisse vor uns. Er wurde von roten Ameisen beim Klogang im Gebüsch attackiert und scheint darauf allergisch zu reagieren. Von der Oberlippe bis zu den Kniekehlen ist Janus bald ein einziger Stich. Wir schneiden schnell ein paar Zwiebeln auf und reiben Janus mit dem weißen Zwiebelsaft ein. Der gegrillte Fisch schmeckt trotz Krankenstand hervorragend und wir lecken uns lange danach noch die Finger ab. Die Zwiebeltechnik schlägt über Nacht an und am nächsten Morgen sind fast alle Schwellungen und Quaddeln verschwunden.

 

Zwei Tage später verabschieden wir uns dann endgültig von Hartmut & Gerti, die in wenigen Wochen ihren Laster von Mumbai nach Sydney verschiffen werden und außerdem von Ashok. Er befindet sich so wie wir in einem Art Sabbatjahr und will die letzten freien Wochen noch einmal in einem Kloster in Nordindien zum Meditieren nutzen, bevor ihn dann der Arbeitsalltag als Yogalehrer in Mumbai wieder einholt. Wir bringen ihn zum Bahnhof, drücken unseren kleinen Inder nochmal fest an uns und hoffen uns bald wieder in Europa zu sehen. Bye Bye Ashok ! 

Wir fahren über Anjuna und Mapusa, wo wir noch einmal ein paar letzte Souvenirs kaufen weiter Richtung Norden. Geografisch gesehen sind wir nun auf dem Nachhauseweg, auch wenn der sich ein wenig hinziehen wird. Zügig fahren wir durch den mittlerweile nicht mehr einschüchternden indischen Straßenverkehr nach Norden. In drei Tagen schaffen wir die 1800 Kilometer bis zur Pilgerstadt Pushkar im indischen Bundesstaat Rajasthan. Wir stellen mit einem Tageskilometerstand von 690 Kilometern einen neuen Rekord mit Silvester auf - dafür haben wir aber allerdings auch 12 Stunden gebraucht. 

 

Bei einem Hostel können wir für 3,50 Euro im Garten campieren und haben dafür noch eine heiße Dusche und Wifi zur Verfügung. Im Zentrum der Stadt liegt ein bei Hindus heiliger See. An den um den See befindlichen Ghats (Waschstellen in Stufenform) versammeln sich die Gläubigen, um sich von ihren Sünden rein zu waschen und um Gesundheit für sich & ihre Familie zu bitten. Noch vor Sonnenaufgang machen wir uns auf den Weg zum See, um die Pilger bei ihren Waschungen und Gebeten zu beobachten. Nicht nur wir finden das höchst interessant, sondern auch ganz viele andere westliche Touristen, die sich hier und in der angrenzenden Altstadt durch die Gassen schieben. Ein Souvenirladen neben dem anderen und auch ein paar zwielichtige Gestalten, die mit einem eine Pooja durchführen und danach natürlich kräftig abkassieren wollen. Nicht mit uns.

 

Hier sehen wir auch eine wirklich indische Skurrilität: eine fünfbeinige heilige Kuh ! Ihr fünftes Bein reicht allerdings nicht bis zum Boden, sondern wächst ihr aus ihrem Höcker am Rücken heraus. Echt abgefahren. Wie passiert denn so was ?

Die Fahrt geht weiter. Richtung Norden. In der Nähe von Amritsar, der letzten großen Stadt vor der pakistanischen Grenze sind wir bei Familie Singh eingeladen. Sie sind Freunde von Mike & Carole aus der Schweiz, mit denen wir im Oktober & November letzten Jahres drei gemeinsame Wochen in Islamabad in einem Park standen. Ihnen wurde bei der Einreise nach Indien ihre Drohne konfisziert, da diese in Indien nicht erlaubt sind. Ein schweineteures Teil und die beiden könnten es bei einer Rückreise nach Pakistan wieder an sich nehmen. Doof nur, dass die beiden weiter nach Südostasien fahren und diese Grenze nicht mehr passieren werden. Und mal wieder wäscht eine Overlanderhand die Andere. Wir wollen die Drohne an uns nehmen, mit nach Europa nehmen, um sie den beiden dann irgendwohin in der Welt nachzuschicken. Die notwendigen Papiere, dass der indische Zoll uns die Drohne aushändigen darf haben sie bei ihren Freunden, der Familie Singh, hinterlegt. Wir fahren also ins ländliche Punjab und staunen erst einmal beim Anblick des Familiensitzes. Ein stylisches Architektenhaus in eckiger Form. Nicht schlecht, Herr Specht.

 

Familie Singh sind Sikhs und schneiden sich ihre Haare nicht. Unter ihrem Turban werden die Haare nach oben gebunden und in einem Dutt verwurschtelt. Auch der Bart wir nicht geschnitten, sondern nur in Form gebracht & dazu ein wenig gestutzt. Drei Generationen leben hier zusammen. Opi, Vati, Mutti & Sohn Singh. Leider spricht nur Sohnemann Jabarjit gutes Englisch und wir erfahren mal wieder einiges über die Lebensweisen hier. Wir bleiben über Nacht und dürfen nicht nur mal wieder heiß duschen, sondern auch einen selbst gebrannten Schnaps probieren. Familie Singh trinkt den aus Zuckerrohr gewonnenen Klaren wie Wasser. Wir finden den Blindmacher sehr gewöhnungsbedürftig und viel zu stark.

 

Am nächsten Morgen geht es nach einem gemeinsamen Frühstück, einem Abschiedsfoto und den wichtigen Papieren im Gepäck weiter nach Amritsar. 

Nachdem wir Chris, Thorsten, Chrissi & Ronald noch einmal in Pushkar zum Abendessen getroffen haben, stehen wir im Amritsar wieder nebeneinander auf einem Parkplatz. Sie fahren einen Tag vor uns schon mal Richtung Grenze und so verbringen wir nun wirklich unseren letzten gemeinsamen Abend in Asien im Bauch der (dicken) Maggie - so heisst ihr Laster.

 

In Amritsar gehen wir am folgenden Tag mit einem Kater auf die Suche nach Autoreifen. Nicht unser Silvester braucht neue Reifen, sondern ein paar VW Käfer Baujahr 1964 suchen in Pakistan vergebens nach neuen Exemplaren. Unser Freund Moqeem hatte uns schon vorsichtig nach der Möglichkeit einer Mitnahme aus Indien im letzten November gefragt. Wir wollen alles versuchen, um welche für ihn mitzubringen. Und auch bei der App IOverlander sehen wir einen Aufruf des VW-Club Präsidenten Nazir, der uns letztes Jahr bei unserer Visaverlängerung behilflich war. Wir fühlen uns verpflichtet ihnen zu helfen, so wie sie uns geholfen haben.

 

Wir klappern einige Reifenhändler ab und finden tatsächlich nach zwei Stunden einen Shop, der uns neun Reifen organisieren kann. Allerdings müssen wir einen Tag auf die Lieferung warten. Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es bei so einer lange Reise nicht an und wir nutzen die Zeit noch einmal durch die Gassen von Amritsar zu bummeln. Immer schön mit Ohrstöpseln, denn die Inder hupen wie die Wilden und selbst kleine Mofas haben Hupen wie große LKWs installiert. Wenn eine Pneumatische Hupe neben einem los geht verursacht das schon mal einen Pieps- und Pfeifton für Stunden. Der Inder dagegen zuckt nicht mal im Geringsten zusammen.

 

Wir kehren zum letzten Mal zu einem indischen Thali ein und vermissen jetzt schon dieses leckere, meist vegetarische Essen. Per Zufall landen wir im gleichen Gasthaus wie vor acht Jahren an unserem letzten Tag in Indien. Crazy.  

Am folgenden Tag werden die Reifen erst um 13:30 Uhr geliefert und wir machen uns schnurstracks auf zur 30 Kilometer entfernten Grenze, die um 16 Uhr schließt. Von unterwegs aus rufen wir beim Zoll an und bitten sie, die Drohne der Schweizer schon mal zu richten. Alles klar – sie bereiten alles vor und erwarten uns. Punkt 15 Uhr fahren wir auf das Grenzgelände, scherzen noch bei der Ausreise, dass wir ja schon ein wenig spät dran sind. Kein Problem - meinen die Beamten, das müsste noch klappen.

 

Der Zoll braucht allerdings länger und trödelt beim Eintragen in allen möglichen Bücher in überdimensionaler Größe herum, schüttelt immer wieder den Kopf und sagt: you are very late. Mach hinne, denken wir uns nur, aber Druck machen hat hier keinen Sinn. Bei der Kontrolle des Autos dann, wollen die Beamten jeden Winkel des Autos sehen, fallen aber beim Öffnen der Schiebetür erst einmal rückwärts um. Unser Bus ist vollgestopft mit Autoreifen, Taschen voll Mitbringsel, Wasserflaschen... Als eine Beamtin dann meint, dass wir es nicht mehr nach Pakistan schaffen und zurück fahren müssen, um morgen einen neuen Car-Check über uns ergehen zu lassen, reicht es. Der Beamte der gerade Janus anweist alle Reifen auszuladen, wird aus dem Bus zitiert. Gerade als wir die Drohne wieder zurück geben wollen, kommt der Chef des Zolls, weißt uns an schnell hinter ihm herzufahren – er will uns aus Indien raus haben und düst mit uns im Schlepptau zum indisch-pakistanischen Grenztor.

 

Da hier allerdings jeden Abend um 16:30 Uhr die ulkige Grenzschließungszeremonie (dazu der Bericht aus dem Jahr 2010) stattfindet, werden wir auf den letzten Metern in Indien bis zum Tor von hunderter Inder bejubelt & beklatscht. Vorne am Tor dann die Ernüchterung: die Pakistaner lassen uns nicht mehr rein – es ist 16:05 Uhr.

 

Ach was soll´s. Dann fahren wir halt wieder zurück. Wir wenden. Winken den Indern zu, die jetzt erst recht laut kreischen als wären wir Popstars und fahren zurück zum Zoll- und Einreisegebäude. Gut, dass wir ein „double entry“ Visa für Indien haben. Wir reisen also wieder ein, geben die Drohne zurück und lassen den Zollpapierkram für Silvester über uns ergehen. Die Beamten sind sichtlich genervt. So was hatten sie noch nie.

 

Wir fahren nach einer weiteren Stunde einige Kilometer zurück, schlafen am Rand eines Dörfchens, lassen uns von den Anwohnern ablichten, anstarren und Löcher in den Bauch fragen. Am nächsten Morgen reisen wir dann tatsächlich ohne "Car Check" und mit Drohne und allen Reifen aus. Wir sind froh noch einmal nach Indien gekommen zu sein. Wir haben Frieden mit diesem wunderbaren & verrückten Land geschlossen. Danke, dass ihr uns noch eine Chance gegeben habt. Wir werden bestimmt eines Tages wieder kommen.

 

Diesmal schieben die pakistanischen Soldaten das Tor zur Seite und wir rollen aus Indien heraus. Die eigentliche Schwierigkeit des Grenzübertritts kommt jetzt erst: werden die Pakistaner unser dubioses Visa anerkennen ? Oder müssen wir noch ein weiteres Mal umkehren und einreisen ?