25: Indien 1

05.12.2018

 

Wir hatten mit Indien abgeschlossen. Zu viel Lärm, zu wenig Privatsphäre, zu viel Direktheit, zu wenig Respekt. Wir wollten nicht mehr kommen. So zumindest unsere Meinung 2011 als wir Indien nach fünf Monaten entnervt verlassen hatten. Und nun stehen wir wieder hier. An der Grenze zwischen Pakistan und Indien und fragen uns während der Grenzbeamte das schwere Eisentor zur Seite rollt was das eigentlich soll. Ja – was soll das? Warum kommt man nach all den Nahtoderfahrungen im indischen Straßenverkehr zurück?

 

Indien ist eine Hassliebe für uns. Sind wir da, wollen wir irgendwann nur noch raus. Sind wir raus, wollen wir bald wieder zurück. Indien ist die pure Ambivalenz. Indien ist gnadenlos laut, hat zu viele Menschen auf engstem Raum, ist knallhart & direkt. Aber Indien ist auch farbenfroh, duftet nach Gewürzen & Kokosnussöl, ist natürlich fröhlich, abwechslungsreich, spannend. Indien ist Leben & Leben lassen.

Indien fasziniert - und deswegen sind wir zurück.

Wir fahren nach einem unkomplizierten Grenzübergang weiter ins nur 30 Kilometer entfernte Amritsar. Es ist Rush Hour, wir kommen nur langsam voran, als uns plötzlich und ganz unerwartet ein bemalter Elefant, geritten von seinem Mahout, auf unserer Spur entgegen kommt. Was für eine Überraschung. Wir sind so perplex, dass wir vergessen ein Foto zu schießen. 

Amritsar ist die Stadt der Sikhs. Mit ihrem Heiligtum, dem Goldenen Tempel. Nach der wilden Fahrt von Islamabad hier her und dem Grenzübertritt sind wir so geschlaucht, dass wir uns schon früh am Abend in unser Bett legen und den goldenen Tempel erstmal nicht besuchen.

 

Auch am nächsten Morgen steuern wir lieber einen eher untouristischeren Tempel an. Dieser ist ebenso voll mit ganz vielen turbantragenden & langbärtigen Männern, denn gläubige Sikhs schneiden sich ihre Haare nicht und sie werden in einem Dutt unter ihrer Kopfbedeckung getragen. Wir beobachten fasziniert das Treiben der Betenden, lauschen dem tranceartigen Gesang & dem Klang eines Harmoniums und fühlen uns pudelwohl. Menschen kommen auf uns zu, begrüßen uns, legen die gefalteten Hände vor die Brust und verneigen sich leicht mit einem Namaste. Ursel wird ganz überraschend von zwei Frauen an ihre Brust gedrückt. Einfach so. Wow, was ist denn hier los? Wo sind denn die gaffenden Inder, die uns vor ein paar Jahren beinahe noch um den Verstand gebracht haben? Wir sind positiv überrascht und machen uns auf den Weg raus aus der Stadt.

 

Wir haben einiges an Kilometern auf dem indischen Subkontinent abzuspulen. Denn in zwei Wochen werden wir Thomy aus Deutschland in der Hauptstadt der Andaman & Nicrobar Islands treffen. Dorthin können wir allerdings nicht mit unserem Bus fahren und haben vor ein paar Wochen ein Flugticket von Chennai nach Port Blair gebucht. Wir wollen unseren Bus bis Goa fahren, dort einen sicheren Stellplatz für ihn suchen und dann mit öffentlichen Verkehrsmitteln weiter nach Chennai fahren. 2600 Kilometer bis Goa, dann fast 1000 Kilometer bzw. 20 Stunden mit dem Zug weiter bis Chennai und dann zweieinhalb Stunden mit dem Flieger bis Port Blair. Klingt nach einer langen, langen Fahrt und die zur Verfügung stehenden zwei Wochen werden wir wohl dafür brauchen.

 

Wir rasen also los. Auf indischen Straßen. Die wir uns mit Fahrrad- und Motorrikshas, heiligen Kühen, heran rauschenden Überlandbussen, träumenden LKW-Fahrern, Fußgängern und alle Verkehrsregeln missachtenden Autofahrern teilen. Auf einspuriger Straße geht es zunächst durch den Bundesstaat Punjab.

 

Wie fast immer wenn wir in einem neuen Land sind, wollen wir uns eine SIM-Karte kaufen, um so Internet zu haben und nicht auf Wifi von Hotels oder Internetcafes angewiesen zu sein. Eigentlich eine nicht nennenswerte normale Tätigkeit auf Reisen. Aber nicht in Indien. Wir steuern also das nächstbeste Geschäft eines Telefonanbieters an und erfahren hier, dass man eine indische SIM-Karte nur kaufen kann, wenn man Inder ist. Och ne - was ist das denn jetzt für eine blöde Vorschrift. Wir versuchen es bei ein paar verschiedenen Anbietern, betteln einige Inder an, ob sie nicht so lieb & nett wären eine SIM-Karte für uns zu kaufen. Wir würden ihnen auch ein paar Euro mehr bezahlen. Aber nein, nichts gibt’s, kein Erbarmen eines Inders. Nix mit Inder-Net. Drei Stunden haben wir schon damit verbracht Läden abzuklappern. Wir wollen schon fast aufgeben, als wir in einen Laden stolpern, der uns auch erst einmal abwimmeln will. Gerade als wir am Gehen sind, betritt ein Jugendlicher den Laden und erklärt, dass er uns helfen kann. Er arbeitet für einen Anbieter und macht sofort unsere Registrierung mit einer App auf seinem Smartphone, die jedoch 30 Minuten später vom Anbieter abgelehnt wird. Also fahren Janus und der junge Mann auf seinem Motorrad zur Hauptfiliale, um mit dem Filialleiter eine Lösung zu finden. Und tatsächlich klappt es diesmal. Juhu, nach über vier Stunden haben wir es doch tatsächlich geschafft eine SIM-Karte für die Dauer unseres Indienaufenthalts zu erhalten. Und das ganz legal als Nicht-Inder. Wir bedanken uns herzlich für die große Hilfe und schenken ihm noch eines von Janus´ T-Shirts.

Wir fahren weiter in den Bundesstaat Rajasthan. Einer der schönsten Bundesstaaten für uns. Er ist nicht so stark besiedelt, hat täglich 1000 Fotomotive zu bieten und die Menschen – ja die Menschen... Winken uns zu, lachen uns an, glotzen nicht, sondern sind zurückhaltend & doch neugierig. Wir sind total baff. Und schütteln immer wieder ungläubig den Kopf über kleine Nettigkeiten. Am Abend werden wir auf unserem Schlafplatz von einem Rajasthani entdeckt, der uns zu sich nach Hause zum Abendessen einlädt. Auch wenn er nur 10 Wörter Englisch und wir 10 Wörter Hindi können, ist er total vehement und lässt sich kaum abwimmeln. Aber wir wollen unser Lager nicht mehr abbauen, das bereits gekochte Essen morgen wieder aufwärmen und die tropfnasse Wäsche abhängen. Nach zwei Stunden gibt er auf und geht nach Hause. So eine offene Gastfreundschaft ist uns früher nie begegnet.

 

Trotz einspuriger Straße müssen wir alle 50 bis 100 Kilometer eine Mautstation passieren. Wir wollen sehen, ob unsere „Diplomatic“-Ausrede mit dem D auf unserem Nummernschild und in unserem Pass noch funktioniert und wir ohne zahlen weiter fahren dürfen. 2010 und 2011 haben wir uns so ca. 30 Euro Mautgebühr gespart und dabei noch viel gelacht. Diesmal sind die Angestellten schwieriger zu überzeugen. Unser Auto, mit schmutzigem Geschirr in der Spüle und provisorisch gespannter Wäscheleine im Inneren mit undiplomatischen Kleidungsstücken wie Boxershorts und Unterhosen, passt rein gar nicht ins Bild eines Diplomaten. Also versuchen wir es mit anderen Ausreden. Wir lügen vor bereits bei der Einreise an der Grenze 2000 Rupie (25 Euro) für alle Straßen bezahlt zu haben. Sie schauen oft überfordert drein, diskutieren herum und lassen uns dann doch passieren. Manchmal schauen wir einfach ganz cool, halten unseren Pass hoch und sagen „VIP“ und zack geht die Schranke auf. Und jedes Mal lachen wir uns danach schlapp. Wir Gauner.

 

Im nächsten Bundesstaat Gujarat werden die Straßen zweispurig und wir können uns das Ganze Mogeln sparen, denn Autos sind hier frei. Wir müssen nur hin & wieder unsere Fahrzeugpaiere vorzeigen, um zu beweisen, dass wir ein Auto und kein LKW sind. Klar sind wir unter 7,5 Tonnen und dürfen dann nach manch endloser Diskussion als Auto kostenfrei weiter fahren.

 

Weiter geht es in den Bundesstaat Maharashtra. Hier haben wir keine Lust mehr aufs Lügen, zahlen jedesmal die umgerechnet 50 bis 90 Cent und fahren weiter. Der Verkehr wird dichter und wir wechseln uns nun häufiger mit dem Fahren ab, um dem Anderen eine kurze Ruhepause zu gönnen. Autofahren in Indien erinnert ein klein wenig an ein Computerspiel. Nur dass man hier nicht unbegrenzt Leben zur Verfügung hat. Rasender Roller von links, stehende Kuh rechts, LKW links überholen, rechts einen Bus, Auto ausbremsen, zwischen Rikshas quetschen, Lichthupe gebenden Gegenverkehr ausweichen.

 

Zu Beginn hatten wir uns auf Krieg auf den indischen Straßen eingestellt und sind erstaunt, dass viele Autos ihre Spiegel noch haben, manchmal sogar der Blinker benutzt wird und die Fahrer es fast immer schaffen die Spur zu halten. Klar versuchen sie sich in die noch so kleine Lücke rein zu drängen. Aber wir haben unsere Ellenbogen ausgefahren und geben nicht kleinbei. Scheiß aufs good Karma. Nach so einer langen Zeit in Asien haben wir uns wohl auf einen rüpelhaften Fahrstil eingestellt und sind wohl die Schlimmsten von allen.

Manchmal ist es echt verdammt knapp und dennoch sehen wir auf 2600 Kilometern nicht einen einzigen Unfall. Indiens Verkehr hat sich definitiv zum Positiven verändert !

 

Insgesamt fragen wir uns, was denn mit den Indern passiert ist. Sie sind viel freundlicher, offenherziger und normaler als wir sie das letzte Mal kennen gelernt hatten. An einer Mautstation zum Beispiel müssen wir für die Benutzung eines Expressways (einer Art Autobahn mit drei Spuren ohne Ochsenkarren und Fahrräder) eigentlich 3 Euro bezahlen. Der Manager nimmt dem Mitarbeiter das Geld, dass wir ihm soeben überreicht haben, aus der Hand, gibt es uns zurück und sagt: ihr seid Touristen und müsst nichts bezahlen, willkommen und viel Spaß in Indien !

 

Abends liegen wir den Tag Revue passierend im Bett und fragen uns, ob sie oder wir uns verändert haben. Wir haben Indien und seine Bewohner ganz anders in Erinnerung. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass wir damals einfach nicht gelassen genug, zu intolerant, unreif und auch unreflektiert waren. Wir sind hart mit Indien ins Gericht gegangen und waren zurückblickend bösartig & gemein zu diesem Land. Im Nachhinein tut uns dies nun schrecklich Leid und wir wollen uns hier in aller Öffentlichkeit bei Indien & den Indern entschuldigen.

SORRY INDIA !

 

Auch Umwelttechnisch tut sich einiges. Es gibt zwar immer noch verdammt viel herumliegenden Müll in Indien, den niemand einsammelt und der vor sich her stinkt, aber es ist weniger als noch vor sieben Jahren. In einem Vorort von Mumbai gehen wir bei Decathlon India und in einen großen Supermarkt einkaufen und freuen uns zu sehen, dass biologisch abbaubare Tüten oder Baumwolltaschen gekauft werden können. Plastiktüten für umsonst gibt es hier nicht mehr. Auch bei Mc Donalds, wo wir uns einen Maharaja Mac gönnen (das Pendant zum amerikanischen Big Mac, der ja wegen der heiligen Kuh hier nicht serviert wird) gibt es keine Strohhalme mehr mit der Begründung: wir haben Plastik verbannt. Großartig finden wir das. Und wenn die weltgrößte Nation langsam umdenkt, dann besteht Hoffnung für alle. Dafür gibt es einen Daumen Hoch von uns !

Nach sieben Fahrtagen kommen wir im Bundesstaat Goa an. Die ehemalige Kolonie von Portugal versprüht durch alte verfallene Kolonialbauten und weiß getünchten Kirchen immer noch einen Hauch Südeuropa. Der größte Teil der goanischen Bevölkerung ist christlichen Glaubens und lebt friedlich mit Hindus und Moslems Tür an Tür. Auch landschaftlich ist es einfach bezaubernd – überall riesige Bäume, Palmen und Urwald. Lange haben wir uns in so eine Landschaft gewünscht, denn Grün tut einfach gut.

 

Wir steuern zunächst den Bahnhof von Margaon an und wollen uns ein Zugticket nach Chennai kaufen, da das Onlineticket nur mit einer indischen Kreditkarte bezahlt werden kann. Am Schalter für „Foreign Tourists“ erhalten wir ohne Probleme und lange Wartezeit unser Ticket für die kommende Woche.

 

Nun brauchen wir nur noch einen sicheren Stellplatz für unseren Silvester. Da er alles ist was wir derzeit haben und uns wichtig ist, sollte es ein wirklich sicherer Platz sein. Vorab haben wir uns schon eine überdimensionale Plane und eine dickes Band gekauft, um unseren Bus vor Blicken und Räubern zu schützen. Wir fragen also zunächst bei der Polizei, dann bei der Touristeninformation und später noch bei ein paar Einheimischen nach. Aber leider können die uns nicht helfen. Wir fahren ein wenig durch Margaon und halten zufällig bei einer Kirche. Warum eigentlich nicht – denken wir uns. Eine Kirche ist ein sicherer Platz und der Pfarrer kann mit Gottes Beistand auf unseren Bus aufpassen. Wir klopfen ans Pfarrhaus und Father Andrew öffnet uns im Unterhemd die Tür. Es dauert keine zwei Minuten da ist er einverstanden. Wir können den Bus bei ihm lassen. Und Geld will er dafür auch keins haben. Er besichtigt kurz unseren Bus, spricht ein paar Parkmöglichkeiten auf dem Gelände mit uns durch und lädt uns dann ein in sein Pfarrhaus zu kommen. Bei einer Tasse Tee und einem Stück lokalen Kokoskuchen lernen wir dann auch noch Assistenzpfarrer Father Gregory kennen und stellen uns und unsere Reisegeschichte näher vor. Nach zwei Stunden haben wir ein sehr gutes Gefühl und sind froh so schnell & unkompliziert einen Platz für unseren Silvester gefunden zu haben. 

In der Dämmerung fahren wir weiter zu dem Overlander-Treffpunkt in Indien. An einem letzten unverbauten Landstück im Örtchen Agonda treffen sich Reisende mit Auto oder Motorrad unter wiegenden Kokosnusspalmen direkt am Strand. Traumhaft schön und trotz recht touristischem Örtchen hat man hier seine Ruhe. Einzig und allein kommen Fischer, Kokusnusspflücker und indische Wochenendausflügler vorbei. Wir sind überrascht als wir dort ankommen, denn es ist kein weiterer Overlander da, trotz gerade beginnender Hauptsaison. Uns stört es nicht, hatten wir in den letzten Wochen doch genug Gesellschaft und genießen nun die Zweisamkeit.

 

Agonda ist touristisch voll erschlossen. Souvenirläden, Cafes, Restaurants, Yogaschulen, Massagestudios und Bungalowanlagen reihen sich aneinander. Und dennoch gibt es noch die leicht verblassten Steinhäuser der Einheimischen, Schweine rennen quer über die Straße und man bekommt noch echtes indisches Essen.

Dieses hat es uns ganz besonders angetan. Eines der besten Essen auf der Welt. Abwechslungsreich, gesund und nahrhaft. Nach all den fleischlastigen Ländern in den letzten Monaten genießen wir nun vegetarische Kost. In Indien gibt es den größten Teil an Vegetariern auf der Welt - 40 % der Bevölkerung ernähren sich fleischlos, das sind mehr als eine halbe Milliarde Menschen! Indische Restaurants sind daher oft in zwei Bereiche geteilt, einen Pure Veg und einen Non-Veg, wobei der Erstere deutlich besser besucht wird. Wir graulen uns einmal quer durch die Köstlichkeiten wie Palak Paneer, Malai Kofta, Dal, Masala Dosa, Thali und Samosa. Allein wegen dem Essen lohnt es sich schon nach Indien zu kommen.

 

Die Tage in Agonda vergehen leider viel zu schnell. Nach dem Aufstehen eine Stunde Yoga, dann ein wenig im Meer erfrischen, frühstücken, ein Buch lesen, zwischendurch eine frische grüne Kokusnuss schlürfen & durch das Örtchen schlendern. Die meiste Zeit liegen wir aber faul in der Hängematte, die wir zwischen Palmen gespannt haben und genießen einfach nur die Aussicht. Die wunderschön geschwungene Bucht von Agonda, den Blick über den indischen Ozean oder hoch in die Baumwipfel der Kokospalmen. Wir können uns kaum satt sehen und müssen definitiv nach unserem Abstecher auf die Andamanen noch einmal hierher kommen. 

 

Zwischendurch werden wir von anderen Reisenden entdeckt & angesprochen. Vor allem Deutsche, die zweimal hinschauen als sie unser Nummernschild entdecken. Und noch immer weiß niemand was RP eigentlich heißt.

Mit den beiden Deutschen Nawina & Nishan (so ihre indischen Namen, die sie von ihrem Guru erhalten haben) lernen wir neue alternative Lebensstile kennen. Sie sind durchweg ausgeglichen und happy, erzählen wie sie es dazu gebracht haben und führen uns zum Teil in ihre Wundertechniken ein. Vor ein paar Jahren wären wir noch nicht so offen gewesen und hätten sie vielleicht als Verrückte oder Spinner abgetan. Wir sind mittlerweile tatsächlich toleranter und neugieriger geworden.

 

Auch Monika & Fritz aus Waiblingen kommen auf uns zu. Sie können kaum glauben, dass man von Deutschland hierher fahren kann. Spontan laden sie uns zum Abendessen ein, um mehr von unseren Geschichten zu hören. So verbringen wir einen schönen gemeinsamen Abend bei Kerzenschein am Strand mit vielen, vielen Geschichten.

 

Nach sechs Tagen brechen wir früh morgens in Agonda auf, fahren unseren Bus ins 35 Kilometer entfernte Margaon zur Kirche. Direkt hinterm Pfarrhaus können wir parken. Wir packen unsere Rucksäcke, räumen alles auf, verschenken unsere letzten Lebensmittel und decken unseren Bus mit der Plane ab. Wir sind startklar und verabschieden uns von Silvester, an den wir uns schon total gewöhnt haben, sagen Bye Bye zu den beiden Fathers und laufen zum Bahnhof.

2006 / 2007 haben wir bereits 24.000 Kilometer mit der indischen Eisenbahn zurückgelegt und freuen uns nun auf die 20-stündige Fahrt nach Chennai. Es fühlt sich an wie eine Zeitreise. Und es ist schön zu sehen, dass sich manche Dinge einfach nicht ändern, so wie die Indian Railway. Immer noch die gleichen Schlafwagenabteile, die gleichen Plumpsklos, laut anpreisenden Teeverkäufer, die klatschenden Ladymans, die Bettler und einfach auch noch ganz viele Inder. Mit denen wir uns in Ruhe unterhalten können. Sie sind neugierig und wir sind es auch.

Am folgenden Tag erreichen wir mit zweistündiger Verspätung das quirlige Chennai. Auf Anhieb finden wir ein billiges Hostel für die nächsten Tage.

 

Chennai hat keine wirklichen Sehenswürdigkeiten zu bieten. Das pulsierende Leben in jedem kleinen Winkel der Stadt und zahlreiche Hindutempel machen die Stadt allerdings zu einem netten Zwischenstopp für uns. Da wir gerne Städte zu Fuß erkunden geht es am nächsten Morgen per pedes los zum Kapaliswarar Tempel. Der 5 Kilometer lange Weg hat nichts mit einem verträumten Schlendern zu tun, sondern erinnert wie beim Autofahren eher an ein Jump & Run Game auf der Spielkonsole. Wegen manch fehlenden Kanalisationsdeckeln oder Bettlern, die auf dem Bürgersteig wohnen, muss auf die Straße ausgewichen werden. Dabei hupenden Rollern aus dem Weg gehen, um Kühe & zerrupfte Hunde schlängeln, über Kuhfladen & Müll springen und dann wieder zurück auf den Bürgersteig.

 

Den Kapaliswarar Tempel betreten wir ohne Schuhe durch den Haupteingang. Unsere Gummilatschen lassen wir einfach draußen auf der Straße liegen und oh Wunder, sie sind später tatsächlich noch da. Der Tempel  besteht aus einem Hauptgebetshaus (das Betreten ist für Nicht-Hindus leider untersagt) und vielen kleinen Tempeln die der Gottheit Shiva gewidmet sind. Die Atmosphäre ist friedlich und wir können in Ruhe die Gläubigen bei ihrer Pooja beobachten sowie die ganzen bunten Statuen auf den Dächern der Gebäude betrachten. Alles recht kitschig, aber wir mögen diesen Klimbim.

Nach 16 Reisetagen in Indien erreichen wir nach einem ruhigen Flug die Andaman & Nicrobar Islands, die näher an Thailand als an Indien liegen. Von oben sehen die Inseln bereits traumhaft aus. Dichter Urwald, Strände, türkisfarbenes Wasser. Die Inselgruppe wird unser östlichster Punkt auf der Reise bleiben. Wir fahren aufgrund von erschwerten Bedingungen für Autoreisende in Thailand nicht wie ursprünglich geplant bis zur Hauptstadt von Malaysia. Stattdessen werden wir ab Anfang März unseren Nachhauseweg über Land antreten.

 

Wir machen uns nach der Landung erst mal auf zum Fährhafen, um ein Ticket für die öffentliche Fähre auf eine der kleinen Inseln für den morgigen Tag zu erhalten. Nicht ganz so einfach, da diese oft ausgebucht sind. Die Inseln sind mittlerweile ein beliebtes Touristenziel, vor allem für Festlandinder, von denen es ja genug gibt.

 

Am quirligen Bazar von Port Blair finden wir schnell eine billige Bleibe bei einer Familie, die zwei Zimmer an Reisende vermietet und fahren gleich wieder zurück zum Flughafen, um Thomy in Empfang zu nehmen. Wir warten ein Flugzeug nach dem anderen ab, aber kein Weißer läuft durch die Empfangshalle. Na so was – haben wir uns in der Zeit oder im Tag geirrt? Nach zwei Stunden werden wir von einem Taxifahrer angesprochen und gefragt, ob wir auf einen Thomas warten – der ist nämlich bereits seit zwei Stunden im Hotel und warten auf uns. Wir haben uns wohl um fünf Minuten verpasst. Die Buschtrommel scheint hier aufgrund von fehlendem Handyempfang noch zu funktionieren und so treffen wir wenig später im Hotel auf Thomy. Die Wiedersehens-freude ist groß und Geschichten & Erlebnisse der letzten Jahre müssen nun erzählt und langsam aufgearbeitet werden.

 

Am nächsten Morgen fahren wir mit der öffentlichen Fähre auf die kleine Insel Neil. Ein Aussteigerparadies. Die 10 km lange und 3 Kilometer breite Insel ist noch halb in einem Dornröschenschlaf. Einfache Bambushütten und Steinhäuser zwischen tausenden Kokospalmen, wo sich Menschen noch selbst versorgen und ihr Vieh halten. Eine einzelne Asphaltstraße zieht sich von Ost nach West, ansonsten nur Trampelpfade durch dichten Urwald. Wir finden eine nette Backpackeroase mit einfachen Hütten und etwas besseren Bungalows, wo wir uns für die kommende Woche einmieten. Unsere Hütte besteht fast ganz aus geflochtenen Bambusmatten und bietet wegen der vielen Schlitze und Löcher zahlreiche Möglichkeiten für allerlei Getier. Im Dschungel darf man nicht zimperlich sein und muss sich mit seinen Mitbewohnern wie Spinnen, Moskitos, Kakerlaken, Kröten, Hundertfüssler, Ameisen und Geckos arrangieren. Ohne ein gespanntes Moskitonetz über dem Bett wäre es hier schnell ungemütlich.

 

Der Monsun ist hier leider noch nicht ganz vorbei und zwei Tage erleben wir sintflutartige Regenfälle und Gewitter. In einer Nacht ist das Grollen und Donnern so stark, dass unsere ganze Hütte bebt und einige Kokosnüsse mit einem lauten Scheppern auf unserem Wellblechdach landen.

 

Die nächsten Tage gehen geruhsam dahin und wir erkunden das kleine Eiland mit gemieteten indischen Fahrrädern. Mobil zu sein ist auch hier ein Vorteil.

 

Am zweiten Tag erreichen wir gerade den Sunset-Beach und wollen uns in den Sand legen als wir ein über zwei Meter großes Dugong (Seekuh) nur wenige Meter vom Ufer aus entdecken. Sofort streifen wir uns Flossen und Maske über und springen in die Fluten. Wir haben keine Angst, denn Dugongs sind friedliche Tiere und Pflanzenfresser. Bereits vor einigen Jahren hatten wir an der selben Stelle Kontakt mit diesem Tier und sind froh es wieder zu sehen. Um Neil Island und den Nachbarinseln hat sich der Bestand mittlerweile auf 13 Exemplare ausgeweitet und dennoch muss man ein Glückspilz sein, um eines zu erspähen. Schwein gehabt.

 

Wir gehen fast an allen Stränden auf Schnorcheltour und müssen leider feststellen, dass der Korallenbestand zum größten Teil zerstört ist. Wir wundern uns. So hatten wir das gar nicht in Erinnerung. Dynamitfischen, trampelnde Touristen, ein Tsunami oder Ankerwürfe sind dafür vermutlich nicht der Grund. Wir fragen bei Einheimischen und Tauchlehrern nach. Sie berichten uns, dass die Meerestemperatur um zwei Grad gestiegen ist und aufgrund dessen die Korallen absterben. Diese Ansicht halten wir zwar für realistisch, aber warum sehen wir dann immer wieder neue Korallen wachsen. Mutieren Korallen und können nun in wärmeren Wasser leben? Egal wie wir das Blatt wenden, Fakt bleibt, die Korallen sind tot und der Mensch scheint mal wieder die Ursache dafür zu sein.