Indien 4

Kalkutta ist wohl die verrückteste Großstadt Indiens. So nah haben wir Reich und Arm nie beisammen gesehen. Es ist schon erschreckend wie viele Bettler, die ihr zu Hause auf einem Karton auf dem Bürgersteig haben, auf den Straßen zu sehen sind. Gewaschen wird sich an den öffentlichen Brunnen am Straßenrand, der Haufen wird in der Nacht auf den Bürgersteig gesetzt und uriniert wird sowieso überall. So leid sie uns auch tun, geben wir keine Almosen, denn zu oft sind Gauner unter den Bettlern. So wissen wir mittlerweile, dass die „jungen Mütter“ die Babys oft nur mieten und sobald ein Reicher in der Nähe ist wird dem kleinem Wurm auf dem Arm ins Bein gepetzt, damit es nochmal extra laut aufschreit. Dann will die Bettlerin natürlich kein Geld für sich, sondern so gut wie so doch ist nur Milchpulver für ihr Baby haben. Sobald man ihr dies dann gekauft hat und weitergeht dreht diese sich um, geht zurück ins Geschäft, gibt das Milchpulver zurück und macht halb/halb mit dem Ladenbesitzer. Dies sehen wir auch oft bei Kindern, die einen auffordern doch einem ein Englisch-Wörterbuch zu kaufen. Da denkt der ahnungslose Tourist, er hat etwas Gutes zu deren Bildung beigesteuert und wird dann so hereingelegt. Auch sehen wir eine alte Frau, die offentsichtlich den einen Tag an einer fürchterlichen Zitterkrankheit leidet und am nächsten Tag seelenruhig am Straßenrand sitzt und oh Wunder wohl plötzlich geheilt ist.  

 

Viel erschreckender finden wir aber die Selbstverständlichkeit der Armut. Wir fragen uns, wie eine Nation mit rasant wachsendem Wirtschaftswachstum Menschen im Dreck verhungern lassen kann. Angemerkt sei, dass Indien nicht in der Sahelzone liegt und es hier Essen in Hülle und Fülle gibt. Verwundert sind wir auch über die westlich orientierten Neureichen Indiens. Macht es ihnen nicht aus, dass es in der halben Stadt nach Urin stinkt, überall Müll rumliegt, Menschen neben ihnen am Straßenrand Hunger leiden und man aufpassen muss nicht in Scheiße zu treten.

Mittlerweile gibt es in der Stadt ein allgemeines öffentliches Urinierverbot, bei Missachtung werden 200 Rupie (ca. 3,20 Euro) fällig. Dies interessiert hier aber niemanden und es wird nach wie vor munter weitergepinkelt.

Angesichts dieser Bilder sind wir froh im zivilisiertem Europa geboren zu sein. Dankbar für all die ganzen Versicherungspflichten und manchmal unlogisch klingenden Gesetze.

 

In Kalkutta bekommen wir unseren ersten schlimmen Indien-Durchfall. Als Ursache könnte eigentlich alles in Betracht kommen, hier der Lassi mit Eiswürfeln, da das kalte Curry am Straßenrand oder das verschmutze Cayglas im Laden um die Ecke. Vier ganze Tage liegen wir mit Krämpfen im Zimmer, rennen ständig aufs Gemeinschaftsklo, das chronisch besetzt ist (den anderen Gästehausbewohnern geht es wohl genauso wie uns) und freuen uns sobald die Konsistenz mal wieder fester wie Wasser ist. Jeder anbahnende Furz kann als Desaster in der Hose enden und so ist Vorsicht geboten. Durch Zufall knüpfen wir Kontakt mit einem Klopapierhersteller aus der Stadt und ordern zum Einkaufspreis 12 Rollen. Dazu muss gesagt werden, dass eine indische Klopapierrolle nur im Einzelpack zu kaufen ist, dafür aber bei der Deluxe-Variante ca. doppelt soviel aufgerollt ist, im Vergleich zu einer deutschen Rolle. Dafür kostet eine Rolle im Supermarkt auch stolze 90 Cent. Wir bekamen sie allerdings für 30 Cent das Stück. Na dann kann der nächste Durchfall ja kommen.

 

Kalkutta ist die letzte indische Stadt in der Rikshas noch von Hand gezogen werden. Ein komisches Bild, wenn eine gut genährte indische Frau mit all ihren Einkaufstüten sich von einem abgemagerten Läufer durch die überfüllten und verschmutzten Straßen nach Hause ziehen lässt. Oft laufen sie barfüssig, haben nur ein einziges Gewand und schlafen in der Nacht unter der angemieteten Riksha. Ein großer Streit ist um diese Berufsgruppe entfacht, die Stadtverwaltung will sie verbieten, aber sie protestieren. Trotz diesem menschenunwürdigen Beruf sind sie froh ein paar Rupies zu verdienen und zu überleben. Was sollten sie statt dessen auch tun. Lesen und Schreiben haben sie nie gelernt. Wir bringen es nicht übers Herz uns von ihnen ziehen zu lassen und fahren daher mit der Fahrradriksha durch die Stadt oder gehen wie so oft zu Fuß.

 

Wer bei unserer diesmal gewählten Überschrift einen kurzen Herzstich bekommen hat und denkt, dass wir unseren Braunen den Abhang runter gerollt, verschrottet oder nach Hause verschifft haben, der irrt sich. Und trotzdem haben wir Abschied von unserem Braunen, so wie wir ihn kennen, genommen. Denn durch unseren Gästehausbetreiber lernten wir Satish, einen Autowerkstatt- und Tankstellenbesitzer kennen. Bei ihm parkten wir unseren Braunen sicher in einer Garage. Als wir an einem Tag nach dem Rechten sehen, bietet er uns an unseren Bus bei ihm in der Werkstatt neu lackieren zu lassen. Wir sind sofort damit einverstanden. Da wir den Bus sowieso auf dem Nachhauseweg wegen zahlreicher Roststellen und dem in der Heimat angestrebten H-Kennzeichen umlackieren wollten, kam dieses Angebot genau richtig. Wir machten uns also an die Arbeit: schraubten nicht nur alle Außenteile ab, sondern auch alle Möbel im Inneren, da sich Rost auch auf der Innenseite gebildet hatte. So wurde unser Kalkuttaaufenthalt noch einmal um zwei weitere Wochen verlängert.

Während sich die Arbeiter ans Werk machten wurden wir von Satish und seinem Freund Sajed ununterbrochen zum Lassi, Essen und Bier eingeladen.

Gerne wollten wir uns bei unseren neuen Freunden bedanken. Da wir den beiden Halbreichen mit irgendetwas Gekauftem keine Freude machen konnten, wollten wir für sie kochen. So kauften wir auf dem Markt alle Zutaten für eine Lasagne und einen Salat und fuhren zu einem Bekannten, der angeblichen einen Backofen besitzt. Indische Küchen haben keine Backöfen, so wie wir sie von zu Hause kennen und so waren wir einverstanden, wegen eines Backofens, durch die halbe Stadt zu fahren. Als wir dort ankamen traf uns der Schlag, Nebu-Da, der seine Küche zur Verfügung stellte, hatte nur einen Mikrowellenherd. Und seine besagte Auflaufform war aus Plastik. Na bravo, wir begannen trotzdem zu kochen und waren hoch überrascht was ein indischer TATA-Mikrowellenherd so alles kann. Die Lasagne war gelungen und unsere indischen Freunde angetan, verputzten alles und wollten, dass wir ab sofort ständig für sie kochten.

 

Kalkutta hatte neben einem tollen Gästehaus und einer Autowerkstatt natürlich noch viel mehr zu bieten. Man konnte vor allem die zahlreichen Hinterlassenschaften der Engländer bestaunen. Neben prachtvollen Bauten und Gärten gab es auch die ganz normalen Wohnhäuser, die zum Teil tolle alte Villen waren. Wir wunderten uns warum diese wunderschönen Häuser so verfallen und ungepflegt sind, wurden aber dann von Einheimischen aufgeklärt. Die Mietverträge der Wohnungen sind zum Teil schon Hundert Jahre alt und können so lange nicht geändert werden, bis die Familie auszieht. Ein Familienoberhaupt kann seinen Mietvertrag immer an einen seiner Söhne weitergeben und so ist es nicht selten, dass für eine 3-Zimmer-Wohnung im Stadtzentrum nur umgerechnet 5 Euro Miete bezahlt werden, da dies eben die Miethöhe von beispielsweise 1920 war. Verständlich, dass ein Hauseigentümer mit diesen wenigen Rupies nichts bewerkstelligen kann. 

Nach zwei Wochen Arbeit an unserem Bus, war es vollbracht: wir hatten nun einen grünen Bus. Im Inneren hatten wir die Verkleidung und den Boden erneuert, die Sitzbank, Matratze und die Küchenkiste neu bezogen sowie die Schränke zum Teil modifiziert. Es wurde ausgemistet, Sachen verschenkt und neu organisiert. Eben als würde man in eine neue Wohnung ziehen. Wir überlegten lange hin und her: sollte unser Brauner, da er ja jetzt nicht mehr braun war, umgetauft werden? Bekommt man zu Hause denn einen neuen Namen, nur weil man beim Frisör war? Nein, Brauner bleibt Brauner, auch wenn nur noch Insider wissen werden, warum er so heißt.

Gut gelaunt und mit frischer Reiselust machten wir uns auf den 2600 km langen Weg nach Goa, wo Kerstin und Rudi schon auf uns warteten und wo auch wir auf Janus´ Schwester Dominika treffen wollen.