Menschenhändler? Terrorist? Opiumschmuggler? Mr Mung vom Secret Service musste sich in einem Interview davon überzeugen lassen, dass wir nichts dergleichen waren. Zuvor hatte er sich bei der deutschen Botschaft in Delhi über uns erkundigt, aber die wussten natürlich auch nicht wer wir waren. In den kürzlich geöffneten Bundesstaaten des Nordostens war man sehr verunsichert über Individualreisende, und dann waren wir auch noch mit eigenem Auto angereist und schwer zu fassen. Nachdem wir ihm erklärt hatten, dass wir auf Hochzeitsreise sind und nicht die geringste Absicht hatten irgendwelche Konflikte mit dem Gesetz einzugehen war er etwas beruhigt. Allerdings mussten wir mit ihm unsere geplante Route besprechen und ihn jeden Abend telefonisch informieren wo wir gerade seien. Mr Mung dampfte zufrieden ab und auch wir verließen am darauffolgenden Tag die Hauptstadt und fuhren ins ländliche Mizoram.
Mizoram ist kein Indien. Die Menschen putzen sich sonntags für den Kirchgang fein raus, Hunde kommen an die Leine oder in den Kochtopf, Gesichter ähneln derer Burmesen, Offenheit und Freundlichkeit sind an der Tagesordnung. Toll, ein wenig Urlaub von Indien zu haben. Im Städtchen Champhai an der burmesischen Grenze gab es wie so oft in Mizoram nichts wirklich Touristisches zu sehen. Unsere Highlights waren die bunten Märkte, die andersartigen Gesichter und das überall gegessene Schweinefleisch.
Wir hatten noch nicht am Gästehaus geparkt als uns schon zwei weitere Mitarbeiter des Secret Service in Empfang nahmen. Da es in Mizoram gerade Dieselprobleme gab und nur bestimmte Personen eine Genehmigung erhielten den Treibstoff zu bekommen, dachten wir bei Anblick der Beiden an den alt bekannten und fast nie bewährten Spruch „Die Polizei, Dein Freund und Helfer“ und beauftragten die zwei sichtbar Unterbeschäftigten damit uns 60 Liter Diesel zu organisieren. Nach zwei Tagen hatten sie allerdings immer noch nichts erreicht und wir nahmen das Ganze selbst in die Hand. Und man wird es schon ahnen: zwei Ausländer in einer Kleinstadt sorgen für Aufsehen und eine Stunde später saßen wir beim zuständigen Beamten, der die Genehmigungen ausstellt, auf dem privaten Sofa, bekamen Essen vorgesetzt und eine Videokamera vor die Nase gehalten. Wir machten gute Miene zu diesem aufgesetzten Spiel und bekamen dann das wichtige Papier. An der Tankstelle ging dann nach 30 Litern die Zapfsäule kaputt und wir brauchten noch einen weiteren halben Tag um 10 Liter auf dem Schwarzmarkt zu kaufen.
Mit 40 Litern sollten wir es auf der von Mr Mung besagten Straße bis zur Hauptstadt des nächsten Bundesstaates Manipur schaffen. Wir fuhren also vergnügt los. Vorbei an kleinen Siedlungen, pfeiferauchenden Frauen und auf Glanz polierten Kirchen. Wir wunderten uns ein wenig, dass uns in vier Stunden Fahrt nur ein einziges Auto entgegen kam, naja vielleicht lag es daran, dass Sonntag war. Am ersten Fahrttag kamen wir gute 140 km voran und schlugen unser Nachlager an einem Fluss an der Grenze zu Manipur auf. Am nächsten Morgen wollten wir früh starten, denn wir wussten, dass die Straße schlechter werden sollte und Banditen die Gegend unsicher machten. Bereits nach wenigen Metern waren wir entmutigt. Das was wir hier vorfanden konnte man beim besten Willen keine Straße nennen, vielmehr eine Dschungelpiste nach der Regenzeit. Befahrbar nur für LKWs mit großer Bodenfreiheit. Für den ersten Kilometer brauchten wir 40 Minuten. Wir rechneten uns aus wie lange wir für die 150 weiteren Kilometer in diesem Tempo brauchen würden, wie viele Teile am Braunen zu Bruch gehen könnten und wie leicht es doch sei uns im Schritttempo auszurauben. Nach Beratschlagung kehrten wir also um. Wir hatten auf unserer Straßenkarte eine weitere Möglichkeit entdeckt und diese wollten wir nun nutzen. Wir fuhren zwei weitere Tage bis zu dieser Abzweigung und fragten die Einheimischen nach dem Weg. Einige wollten uns schon auf die unbekannte Straße schicken, als jedoch ein paar Andere kamen und uns mitteilten, dass die Straße nach 70 km endet, da eine Brücke seit mehreren Jahren fehlt. Dieser Weg war also auch unmöglich. Dass es so schwierig ist im Nordosten zu reisen hatten wir nicht vermutet. Die Staaten Manipur und Nagaland waren also für uns gestorben.
Wir fuhren in die Hauptstadt Aizwal zurück, zum ersten Mal ohne irgendwelche weiteren Pläne in der Tasche. Ein komisches Gefühl nicht zu wissen wo hin man soll. Wir überlegten einige Tage und fuhren dann weiter zum Bundesstaat Tripura, der an Bangladesch grenzt. Auf dem Weg dorthin machten wir einen Zwischenstopp im Dampa Tiger Reserve. Natürlich sahen wir keinen Tiger, sondern nur einen netten Wald und eine Fledermaushöhle. Wir erholten uns einige Tage in der dortigen Tourist Lodge und fuhren dann weiter ins besagte Tripura. Die Straße war mal wieder dschungelartig. Diesmal aber petzten wir die Arschbacken zusammen und ruckelten im Schneckentempo voran. Die Strapazen hatten sich gelohnt: wir kamen durch eine der wohl entlegensten Gebiete Indiens überhaupt. Das Leben scheint hier still zustehen, alles geht seinen gemächlichen Gang. Wir fahren vorbei an webenden Frauen, Kindern mit gestapelten Wasserbehältern auf dem Kopf, opiumrauchenden Weibern. Als wir mit der Kamera auf sie zugehen sind sie verunsichert, verstecken sich oder lassen sich nur schüchtern ablichten. Weiße, und dann noch mit gelben Haaren, haben sie zuvor noch nie gesehen.
Als wir aus den bergigen Region ins flachere Tripura vorstoßen ist es vorbei mit der Schüchternheit und Zurückhaltung. Neugierige Gesichter drücken ihre Nasen an den verschmutzen Scheiben platt, starren uns minutenlang an. Bei den Felsreliefs von Unakoti werden wir für 300 Schüler zu Affen. Sie schreien wie wild, rennen uns hinterher, wollen uns fotografieren, anfassen. Wir sind dankbar als der Lehrer sie nach einer Stunde zurückpfeift und wir wie normale Touristen die Sehenswürdigkeit betrachten können. Am Nachmittag fahren wir weiter und halten kurz nach der Grenze zu Assam an einem Anwesen zwischen Teebüschen mit super Rasenfläche zum Parken. Das wäre ein genialer Schlafplatz. Am Abend kommt der Besitzer und will natürlich wissen wer wir sind. Wir hatten schon die Befürchtung, dass er uns verjagen will, wo wir doch ungefragt und frech wie wir sind, uns einfach breit gemacht hatten. Das Gegenteil ist allerdings der Fall. Der Verwalter der Teeplantage und sein Buchhalter, sowie deren Ehefrauen interessieren sich für unsere Geschichte und laden uns in ihr Haus ein. Wir sind platt. So ein riesiges Haus hatten wir schon lange nicht mehr von innen gesehen. Nach einem netten Abend lehnen wir es ab in einem ihrer Gästezimmer zu schlafen, wir ziehen unseren gemütlichen Bus vor. Am nächsten Morgen fahren wir nach einer ausgiebigen Dusche im nagelneuen Badezimmer und einem gemeinsamen Frühstück weiter.
Unsere nächste Station soll das 1700 km entfernte Kolkata (ehemals Kalkutta) sein. Für die Fahrt dorthin rechnen wir eine Woche ein. Eines Mittags sitzen wir in einem Hotel an der Straße zum Essen als ein Bus mit interessant ausschauenden Leuten anhält. Wir ahnen, dass die mongolischen Gesichtszüge und die Morgenmantel ähnelnden Trachten wohl aus Buthan stammen müssen. Wir haben unsere Freude sie zu beobachten. Als wir dann beim Bezahlen auch noch bhutanesisches Geld herausbekommen steht unser Abstecher zur indisch-bhutanesischen Grenze fest. So nah werden wir wohl nie wieder an dieses verbotene Land, das lieber auf einen Glückseligkeitsindex als auf ein Bruttoinlandsprodukt wert legt, herankommen. Jeder Visatag kostet für Ausländer unglaubliche 250 US$. Zwei Tage bleiben wir im Grenzort, werfen verstohlene Blicke durch den Zaun auf die andere Seite, lauschen in den Abendstunden den Trommeln der Mönche und gehen auf Shoppingtour.
Die Fahrt geht weiter Richtung Kolkata, über den Brahmaputra, an dem gerade Flussdelfine aus dem Wasser springen und dem mächtigen Mutter Ganga. Nach unendlich wirkender Fahrt auf einspuriger Straße kommen wir der 18-Millionenstadt Kolkata entgegen. Dank GPS kommen wir gut durch den Verkehr. Plötzlich passiert es: ein kleiner Lastwagen, der die Größe unseres Busses hat will uns im stockenden Verkehr überholen, hat natürlich aufgrund des ständigen Gegenverkehr nicht die Möglichkeit an uns vorbeizuziehen und will dann ganz selbstverständlich uns von der Straße abdrängen, damit er nicht über den Haufen gefahren wird. Was für uns ein absolut dummes und unlogisches Verhalten ist, ist für den verkehrsteilnehmenden Inder gang und gäbe. Wir haben keine Lust klein beizugeben und bleiben auf unserer Spur. Daraufhin rammt der Fahrer uns. Wir halten und wollen ihn zur Rechenschaft ziehen. Wie dumm wir doch sind: was in Deutschland sofort der Polizei gemeldet wird, ist hier ein Kavaliersdelikt. Der Fahrer haut einfach ab, bekommt es aber mit der Angst zu tun, als Janus ihm einige Meter hinterher rennt. Wir sind empört, begutachten die Kratzer auf der Seite und berichten später anderen Indern davon. Die sind total überrascht, dass dies unser erster Unfall in Indien ist und beglückwünschen Janus zu seinen Fahrkünsten. Sie hätten wöchentlich eine neue Beule oder Schramme.
Die Parkplatz- bzw. Zimmersuche in der Touristengegend um die Sudder Street stellt sich als schwieriger heraus als gedacht. Es gibt nur wenige Budgethotels mit Parkplatz und diese waren entweder ausgebucht oder ihnen war unser Bus einfach zu groß. Wir brauchen letztendlich einen ganzen Tag, um einen Parkplatz 800m weiter vom unserem Gästehaus in einer Garage zu finden. Zwei Wochen wollen wir hier bleiben, eine Pause vom Fahren haben wir bitter nötig. Und trotzdem ist nicht an Erholung zu denken, wir müssen unseren zweiten Teil der Reise planen, Visas organisieren, ein neues Carnet beantragen, Ersatzteile bestellen, Reiseführer kaufen usw.
janus_schymonski@gmx.de
ursula_schymonski@gmx.de
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